Praxisbrief Oktober 2016

19. Oktober 2016 von Ihrer Gemeinschaftspraxis

Liebe Patientinnen, liebe Patienten,
"Im Zweifelsfall ist es besser, nichts zu tun, als etwas Falsches." Dieses Zitat von Lion Feuchtwanger aus seinem Buch "Der falsche Nero" hätte auch gut zum diesjährigen Fortbildungs-Kongress unserer Fachgesellschaft gepasst. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin feierte in Frankfurt im September ihren 50. Geburtstag. Eingeladen waren auch Gäste aus Kanada und Australien. Und nicht nur diese betonten, wie lebenswichtig es sei, medizinische Maßnahmen immer wieder auf den Prüfstand zu stellen bzw. stellen zu lassen. Wer könnte das besser als die Allgemeinmedizin, die "Spezialistin für den ganzen Menschen"? Mittlerweile ist ja bekannt, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Einzelteile. Zwar kann manchmal ein Herz, ein Auge oder ein Knie repariert werden; aber ob jemand danach zufrieden lebt, das hängt oft noch von ganz anderen Dingen ab. Oder was haben Sie erlebt?

Befindet sich die "Reparaturmedizin" auf dem Holzweg? Reparieren heißt Schäden beseitigen. Was aber ist ein Schaden? Als Schaden kann eine Abweichung von dem Normalen bezeichnet werden. Doch warum spricht die Medizin dann beispielsweise von Bandscheibenschäden? Auf dem Kongress hörten wir nämlich, dass es - erst recht im Alter - völlig normal sei, Veränderungen an den Bandscheiben zu haben. Und trotzdem wird häufig operiert. Weil man sich über die Erkenntnisse aus Forschung und Wissenschaft hinwegsetzt? Ähnlich verhält es sich mit den Eingriffen am Herzen. "Zu viel und zu schlecht" könnte man zusammenfassend sagen. Obwohl wir in Deutschland mittlerweile eine gute Leitlinie zu Herzkrankheiten haben, wird sie von den Spezialisten kaum berücksichtigt. Oder sind Sie schon einmal ausführlich über die Vor- und Nachteile eines Eingriffes informiert worden? Das ist nämlich auch eine Erkenntnis von diesem Kongress: Sind Sie nicht gleichberechtigt in die bevorstehende Entscheidung eingebunden, dann ist etwas faul an der Sache. Besser wäre es, den möglichen Nutzen und den möglichen Schaden verständlich darzustellen werden und zum Schluss vernünftig abzuwägen, welche weiteren Schritte sinnvoll sind. Bei diesem Vorgehen würde vermutlich so manche medizinische Maßnahme in die Mottenkiste wandern. Und nach dem Motto "weniger ist mehr" würde es wohl vielen auch besser gehen.

So wissen wir es beim Alters-Diabetes schon länger, beim Bluthochdruck hören wir zurzeit die ersten warnenden Stimmen: Zu viel Medizin kann schaden. Die Medizinmaschine, die nur auf die Blut(druck)werte schaut, hat nicht mehr den Menschen mit seinem persönlichen Leben im Blick. Sie verabreicht Tabletten, die nur an jungen und wenig kranken Personen getestet wurden, an Menschen, die betagt, gebrechlich oder mehrfach krank sind. Das geht nicht gut. Und schon gar nicht, wenn nicht berücksichtigt wird, wie die Krankheiten in der Bevölkerung verteilt sind und wenn entsprechende Risikoberechnungen vernachlässigt werden. Auf der anderen Seite steigen von Seiten der Patientinnen und Patienten die Erwartungen an den "Reparaturbetrieb" umso höher, je mehr ihnen versprochen wurde. Und ihnen wird viel versprochen: Kein Tag vergeht, ohne dass nicht wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Hier eine Pille, dort ein Mittel, zuletzt ein Eingriff.

Auch bei der Hausapotheke gilt: Weniger ist mehr. Die Autoren der Zeitschrift "Gute Pillen - Schlechte Pillen" empfehlen Folgendes:

  • Schmerzmittel wie ASS (für Kinder erst ab 12 Jahren), Paracetamol, Ibuprofen
  • Desinfektionsmittel für Wunden, z. B. Octenidin
  • Wundpflaster, sterile Kompressen, Mullbinden, elastische Binde
  • Fieberthermometer
  • Pinzette
  • Notfall-Rufnummern (Apotheken-Notdienst 0800-0022833; ärztlicher Bereitschaftdienst 116117; Nummer einer Giftnotrufzentrale [smartphone-app: "Vergiftungsunfälle bei Kindern"]

Zum guten Ende wollen wir Sie noch mit einer Nachricht von Robert Gernhardt erheitern:

Die Flucht in die Krankheit glückte drei Insassen der Strafanstalt Bad Wuschl. Sie werden jetzt im Anstaltslazarett gegen Hals, Nasen und Ohren behandelt.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr Praxisteam

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